27. Juli 2015
      Bunte Hosen
Bunte Hosen

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Email an Stefan, Juli 2013

18. Mai 2013
Ich werde nochmals kurz in die Stadt gehen.
DIE Stadt ist dieses mal Fürth.
Morgen, am Sonntagabend fliege ich nach Istanbul, Mutter geht es nicht gut, ich werde mich irgendwie verabschieden. Na ja, “irgendwie“ geht ja gar nicht, auf jeden Fall muss ich da hin, ob ich will oder nicht. Mein Mann wird mich vom Flughafen abholen, wir werden sicher erst nach Mitternacht bei Mutter ankommen. Und der 20. Mai sollte eigentlich ein ganz besonderer Tag sein. Es ist unser 30. Hochzeitstag. Unfassbar, und erschreckend, wie schnell die Zeit vergangen ist.

Eigentlich sehe ich mich immer noch so wie vor 30 Jahren, vielleicht nicht so ganz, aber fast. Aber wenn ich in den Spiegel schaue ist von dem zarten Mädchen, das 45 kg wog nicht mehr viel übrig. NEIN, das stimmt nicht ganz, es ist ziemlich viel übrig, eigentlich hat sich das Mädchen fast verdoppelt. Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als ich bei den BH‘s endlich ein B-Körbchen tragen konnte! Ich hatte es endlich geschafft in eine andere, von mir so begehrte Kategorie der B‘s zu kommen. Das habe ich gefeiert – mit einem Eis! Irgendwann war es ein C-Körbchen, das war einfach gigantisch gut, und mir entging es total, dass der Rest schon bei Y war!

Manchmal, wenn ich zufaellig mein Spiegelbild im Schaufenster sehe, erkenne ich mich nicht, denn in meiner Vorstellung bin ich so viel jünger, und so viel schlanker, und das ist tatsächlich so, obwohl ich mich doch jeden Tag im Spiegel sehe.

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Es ist mir immer noch unbegreiflich, wie sich mein Körper erst schleichend und heimlich, dann mit Ächzen und Schmerzen verändert hat. Lieber Gott, bin ich denn eine Art Knetmasse? Oder was passiert denn da? Die Wechseljahre, ich dachte, ich hätte sie einigermaßen hinter mich gebracht, ein komischer Zustand, bei welchem man schmerzlich erkennen muss, dass der Körper und vor allem auch die Psyche machen, was sie wollen. Niemals wollte ich mir das eingestehen, ich wollte nicht zu den Frauen gehören, die zickig sind, und weinen – nein so war ich nicht, und so will ich niemals sein! Und plötzlich wachte ich an einem wunderschönen, absolut perfekten Tag auf und bevor ich die Decke zurückgeschlagen hatte, brach ich in Tränen aus. So war ich nie, so kenne ich mich nicht, und jetzt passiert es einfach so, aus heiterem Himmel.

Na ja, alles hat sich verändert, ich habe mich verändert, mein Körper ist ein anderer geworden, und wenn ich nicht unbedingt Freundschaft mit ihm schließen muss, so muss ich ihn akzeptieren und wenigstens pflegen. Und dann kommst Du, lieber Stefan, und fragst mich, warum ich eigentlich immer Jeans anziehe!?!? Wie kann ich Dir erklären, dass ich ungefaehr 20 Jeans habe, die fast alle gleich aussehen? Ja, es sind bestimmt mehrere sogar identisch, denn wenn mir schon mal eine Hose passt, kaufe ich sie mindestens noch ein- manchmal zwei- bis drei mal nach. So einfach ist das. Für mich jedenfalls. Und jetzt stellt Du diese Frage! Sie ist absolut berechtigt, Du meinst, es gäbe so tolle bunte Hosen, ich solle doch endlich mal so eine Hose kaufen. Jaaaaa, Stefan, das würde ich echt gerne, aber dann würden meine Beine vielleicht noch mehr auffallen. So, nun gehe ich in die Stadt, vielleicht finde ich eine neue Jeans, oder noch besser einen neuen Schal. Schals passen immer, egal wie fett man ist. Handtaschen zum Glück auch, und natürlich Lippenstifte.

Es gibt nicht viel Auswahl in Fürth. Sowieso kenne ich mich nicht gut aus, obwohl ich schon seit 24 Jahren hier lebe – nein ich schlafe eigentlich nur hier, leben bedeutet etwas anderes. Ich schau mal zu Wöhrl, vielleicht finde ich was. Die Jeansabteilung ist nicht gerade berauschend, ich schlendere zwischen den Regalen und Ständern, schaue mir dies und das an, es gefaellt mir nichts und ich ertappe mich wieder, dass ich wieder kleine, süsse Teilchen herausziehe, als wäre ich 25 Jahre jünger. Die Tränen steigen hoch, meine Füße kochen plötzlich wieder, eine Hitze breitet sich im Nacken und an den Schläfen aus. Schlagartig rinnt mir ein kleines Rinnsal Schweiß zwischen den Schulterblättern herunter. Zum Glück habe ich ein Unterhemd an – Unterhemden, kleine Shirts und Tops, das mochte ich ja auch schon früher. Ich flüchte mich mit 3 unsäglichen Teilen in eine Umkleidekabine und setze mich ruhig auf den Hocker, ziehe meine Schuhe aus und stelle meine Füsse auf den, sicher mit 2 Milliarden Bakterien verseuchten, Boden. Gott sei Dank habe ich Socken an. Ich könnte schlagartig schon vor lauter Ekel Fußpilz bekommen.

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„Passt bei ihnen alles?“ „Ja, ja, alles in Ordnung!“ „Sie sagen mir bitte, wenn sie etwas brauchen“ … verdammt, ich brauche nur ein paar Sekunden Ruhe, und einen Kühlschrank vielleicht; den kann sie mir nicht bringen. Ich muss einfach nur warten, bis der Anfall vorübergeht. Vorsichtig spähe ich hinter dem Vorhag hervor, um zu schauen, ob die freundliche Stimme in der Nähe ist. Ich will nichts erklären müssen … Ich sehe sie mit einer anderen Kundin beschäftigt und schleiche mich aus der Kabine. Die Teile hänge ich ganz schnell und unauffällig zurück.

Als ich schon gehen will, sehe ich bunte Hosen. BUNTE HOSEN!? Na, ich kann sie mir ja mal ansehen. Die erste, die ich in der Hand habe, hat ein Kravattenmuster, aber so schmale Beine, dass sie vielleicht Dir passen könnten. Ok, das war Größe 38. Vorsichtig nehme ich meine Größe raus, aber auch bei Größe 42 sind die Hosenbeine nicht viel breiter, das geht ja gar nicht! Stefan, Du hast mich gefragt, warum ich immer nur Jeans anziehe, und meinen Unterkörper so vernachlässige. Es ist ganz einfach, der Jeansstoff ist ziemlich fest und so kann man die schrecklichen Orangendellen – ich finde man tut den Orangen unrecht, es müsste Brokkoli- oder Blumenkohlhaut heißen – nicht sehen! Das ist ganz einfach, oder? Und, weißt Du was? Ich kann noch so viel Spezialcremes einmassieren, es wird nicht besser! Immer, wenn ich todunglücklich bin, sehe ich mir Bilder im Internet an, Menschen die die gleiche Krankheit haben, in einem fortgeschrittenen Stadium, Elefantitis, dann fühle ich fast wie Elle Macpherson.

Ich bin neugierig geworden, und schaue die anderen Ständer durch. Inzwischen habe ich 5 verschiedene Hosenmodelle auf dem Arm, auch eine brave, dunkelblaue ist dabei. Und wieder geht es Richtung Umkleidekabine, aber dieses mal ohne Hitzewelle. „Ach schön, haben Sie noch was gefunden! Wenn Sie etwas brauchen, rufen Sie mich bitte!“

Erst mal brauche ich meine Ruhe. Ok, diesmal denke ich beim Schuheausziehen nicht an die Bazillen, die schon in Angriffshaltung auf mich warten könnten, nein, ich denke an die wunderbaren Hosen und hoffe, dass mir vielleicht eine passt, und ich stelle mir vor, wie überrascht Du sein wirst, wenn Du mich in einer solchen Hose siehst …

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Das Unglaubliche passiert, zwei Hosen passen mir! In einer Hose sehe ich sehr bunt, ungewohnt bunt aus. Ich mag sie nicht, oder doch? Die andere ist weißgrundig, mit buntem Paisleymuster, eigentlich noch unmöglicher, zumal sie so hell ist und außerdem am Knie zu eng. Aber ich liebe dieses Muster, was mach ich denn jetzt? Wenn ich die Hose kaufe und ich sie nicht anziehe, wird sie sich zu den anderen Leichen im Schrank gesellen müssen! Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, nur etwas zu kaufen, was ich wirklich brauche, die 75. Handtasche zum Beispiel. Ich werde keine bunte Hose kaufen! Niemals.

Die Jeans sind ja eigentlich ok und außer Dir, lieber Stefan fällt es sowieso niemandem auf, was ich anziehe, oder? „Ist alles in Ordnung bei Ihnen?“  „Jaaa, alles ok.“ Das Paisleymuster ist echt schön, aber so eine helle Hose, damit bin ich schlagartig noch fetter und am Knie sind sie sowieso zu eng und überhaupt. Aber vielleicht könnte ich eines meiner geliebten Ripsbänder aufnähen und die Hose an den entsprechenden Stellen darunter weiter machen? „Soll ich ihnen vielleicht noch eine andere Größe bringen?“ Wie gerne würde ich sagen, dass ich sie vielleicht mal in Größe 36 anprobieren könnte … Die Besitzerin der Stimme (kann man Stimmen besitzen, oder hat man sie??), schaut tatsächlich in meine Kabine. Ich hasse das!!!!! „Ach, die sieht aber gut aus, vielleicht ein klein wenig zu eng am Knie, aber der Stoff weitet sich ja noch.“ Ja, ja, klar.  „Ja, ich nehme die Hose.“ Mann, was hab ich denn da gesagt??? Bin ich denn total bescheuert?

Nur, damit diese Frau, die ja nur versucht, ihren Job gut zu machen, schnell wieder verschwindet, kaufe ich mir eine Hose, die 100 prozentig eine Schrankleiche wird! Ok, ich kann sie ja morgen wieder zurückgeben. Ich bezahle und gehe.

Als ich später nach Hause komme, lege ich die Hose zu meinen anderen Einkäufen, den Büchern, (die passen auch immer), und ich muss mir tatsächlich eingestehen, dass ich sie schön finde. Ich probiere sie nochmals an, ja, sie ist schön, aber irgendwie doch nicht für mich, ich bringe sie morgen zurück. Ich schaue mir die Abendnachrichten an, und als der Sprecher das Wetter für Sonntag ankündigt, trifft mich fast der Schlag! Es ist Samstagabend, 20:15 Uhr, und morgen ist Sonntag und ich kann meine Hose nicht umtauschen und ich komme erst wieder im Juli nach Deutschland!!! Ich packe die Hose in meinen Koffer, in der Absicht, sie ganz heimlich im Schrank verschwinden zu lassen.

Ungefähr drei Wochen später finde ich die Hose im Schrank, ich hatte sie tatsächlich schon vergessen. Ok, mal sehen, sie ist immer noch zu eng am Knie und ich beschließe ein Ripsband aufzunähen, das klappt auch ganz prima. Gerade, als ich die geänderte Hose anprobiere, kommt mein Mann ins Zimmer. „Hast du abgenommen?“ Na, verarschen kann ich mich auch selbst … Er beteuert, dass die Hose ganz toll aussieht, dass sie mich schlanker macht und überhaupt, dass ich für ihn immer die Schönste bin …
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So, nun hab ich sie, die bunte Hose. Ich hatte sie schon mehrere Male an, und ich fühle mich tatsächlich wohl. Meine Freundinnen hier haben auch bemerkt, dass ich abgenommen habe oder ob es wohl an der Hose liegt? Sogar einige Männer haben sich zu der Hose geäußert, unfassbar. Wie eine bunte Hose das Leben verändern kann. Glaub mir Stefan, das hätte ich nie gedacht!

Und heute, wenn ich zur Besprechung komme, werde ich die neue Hose, die inzwischen schon alt ist auch anziehen, vielleicht.
Ich hoffe, ich sehe DIch!

Bis später, Isabella

Nachtrag:
Inzwischen sind zwei Jahre vergangen, Mutter ist Anfang des Jahres verstorben, und ich habe, dank eines Diätpulvers, mehrere Kilo abgenommen. So schlank wie früher werde ich nie mehr werden, aber dafür habe ich relativ wenig Falten im Gesicht, zumindest, wenn ich ausgeschlafen habe. Auch habe ich mehrere bunte Hosen im Schrank, die ich auch ab und zu anziehe. Danke, mein lieber, lieber Freund Stefan!

Text,Grafik,Foto © Isabella Bakioglu
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